
Cover der deutschen Version von „Brutal – Paws Of Fury“ für Mega Drive (Quelle: segaretro.org)
Mitte der 90er waren in unserer ländlichen Gegend Läden, die Videospiele führten, sehr rar gesät. Die paar, die es gab, führten hauptsächlich NES und SNES, die sich damals wohl besser verkauften als es beispielsweise ein Mega Drive tat. So blieb mir als einzige Quelle für neue Spiele oft nur die Videothek vor Ort. Was wiederum bedeutete, dass ich die Spiele montags wieder abgeben musste, eine oft unbefriedigende Lösung.
Da Geld damals schon alles andere als reichlich vorhanden war, kamen Versandhausbestellungen für mich kaum in Frage. Deshalb kamen mir die gelegentlichen Samstags-Einkaufsausflüge mit den Eltern nach Würzburg oder Aschaffenburg immer sehr gelegen. Denn dort gab es nicht nur deutlich mehr Auswahl, sondern auch immer mal wieder tolle Angebote für 20 bis 30 DM.
Ein solches damaliges Schnäppchen war „Paws Of Fury“, dessen Cover mir direkt auffiel. Da allein das Wort „Brutal“ den deutschen Jugendschützern offenbar schon zu grausam war, erschien das Spiel hierzulande übrigens ohne dieses auf dem Cover. Die darauf abgebildete, plüschige Truppe weckte dennoch sogleich mein Interesse! Und schlussendlich besiegelten die Screenshots auf der Rückseite der Verpackung die Entscheidung, welches Angebots-Spiel ich diesmal kaufen würde.
Yin…
Zuhause angekommen musste meine neueste Errungenschaft natürlich sofort genauestens inspiziert und getestet werden. Also rein mit dem Modul ins Mega Drive, auf dem Boden Platz genommen und eingeschaltet… Und ich war sofort begeistert! Ein bildschirmgroßer Hase, der das Sega-Logo mit einem Roundhousekick und einem asiatisch angehauchten „Sega! Hui!“ auf den Bildschirm schmetterte! Die wunderschöne aufgehende Sonne im Titelbildschirm mit noch mehr Sprachausgabe! Die tolle, an asiatische Folklore angelehnte Titelmusik! Das Spiel war bis hierhin schon ein Hammer!
Die Hintergrundgeschichte kennen wir übrigens, in ähnlicher bis identischer Form, bereits aus zahlreichen anderen Prügelspielen: Ein Großmeister veranstaltet alle 4 Jahre ein Kampfsportturnier, auf der Suche nach dem besten Kämpfer der Welt. Nicht sehr einfallsreich, genügte aber völlig, um sich die Tatzen, Pfoten, Klauen und Pranken um die Ohren zu schlagen.
Das Optionsmenü bot die genreüblichen Einstellungen wie Schwierigkeitsgrad, Geschwindigkeit, etc. Diese konnten teilweise etwas umständlich aber dafür grafisch wieder sehr schick angepasst werden. Auch die Kämpferauswahl wusste sofort zu gefallen: Jeder Kämpfer wurde durch ein großes Bild und eine geschmeidig animierte Silhouette vor der untergehenden Sonne vorgestellt. Dazu scrollten ausführliche Biografien und sogar eine Empfehlung, welcher Spielertyp zum jeweiligen Kämpfer passen würde, über den Bildschirm. Die tierischen Kontrahenten waren eine interessante und lustige Abwechslung zu den vielen eher generischen Street-Fighter-Klonen dieser Zeit. Die Vorfreude auf die eigentliche Prügelei wuchs immer weiter!
Nachdem ich mich für einen der Kämpfer entschieden hatte, durfte ich mir noch kurz auf einer Übersichtskarte anschauen, wo der erste Kampf ausgetragen werden würde. (Man beachte das anlegende Boot, ein schönes, kleines Detail!) Und dann ging es auch endlich los und zur Sache!
… und Yang
Und ab da setzte leider ein wenig Ernüchterung ein. Dass ich anfangs keinerlei Special Moves würde nutzen können, wusste ich bereits aus dem Handbuch. Das Spiel konnte hier nämlich mit einem netten RPG-Element aufwarten: Special Moves lernte man nach und nach zwischen den Kämpfen dazu, ein Passwortssystem speicherte den jeweiligen Fortschritt des gewählten Kämpfers. Dass den CPU-Gegnern von Anfang an alle Special Moves zur Verfügung standen, war auch kein Problem. Leider setzten die Kontrahenten sie aber nicht nur gelegentlich, sondern öfter mal in Dauerschleife ein! Entweder hatte man dann das Glück, mit einem leichten Angriff die Kette durchbrechen zu können. Oder man hatte es nicht und musste einfach abwarten, bis die Runde vorbei und zu Gunsten der CPU entschieden war. Viele Specials ließen sich nämlich nicht abwenden oder unterbrechen, hatte der Gegner ihn angesetzt, wurde er gegen Attacken immun.
Bämm, bämm, bämm, bämm! Vorbei! Verloren!
Im Gegenzug kam ich schnell dahinter, dass es meist am effektivsten war, auch einfach wiederholt die gleichen harten Attacken zu nutzen, um ein Match für mich zu entscheiden. Besonders Fußfeger ließen sich oft in Ketten wiederholen und verursachten verhältnismäßig viel Schaden. Leider kam es aber auch häufig vor, dass die Gegner sich einfach blockend in die Ecke verkrochen, was meine aggressive „Taktik“ schnell zunichte machte. Die Idee, im Optionsmenü das Zeitlimit zu aktivieren, um derart verlaufende Matches hoffentlich durch Auszählen gewinnen zu können, trug auch nur bedingt Früchte: Oft war spätestens in der Stage von Kendo Koyote Schluss, erreichte der Zähler dort 00, fror das Spiel einfach ein! Ich weiß nicht, ob das nur ein Problem mit meinem Modul oder ein genereller Bug war, nervig war es definitv!
Die stellenweise fragwürdige Kollisionsabfrage trug auch nicht gerade dazu bei, meine anfängliche Begeisterung wieder her zu stellen. Ebenso wenig wie die zu erlernenden Special Moves, bei denen man teilweise mehrere Tasten gleichzeitig drücken musste. Das war leider oft nicht ohne Umgreifen möglich, ein Unding in einem schnellen Prügelspiel, wie ich finde. Man wollte offenbar vieles anders als in „Street Fighter 2“ machen. Das Rad als Quadrat neu zu erfinden, war dabei aber sicher nicht die beste Idee. Die berühmten und etablierten Kreisbewegungen für Special-Moves hätte Gametek gerne übernehmen dürfen. Das unnötig überladene 6-Button-Layout wurde ja schließlich auch wieder 1:1 kopiert…
Perfekte Harmonie?
Das alles klingt jetzt beinahe so, als ob es sich bei diesem Spiel um ein zweites „Rise Of The Robots“ gehandelt hätte. So schlimm war es aber bei weitem nicht. Es war kein „Eternal Champions“ oder gar „Street Fighter 2„, aber es war trotz der paar Macken immer noch deutlich spaßiger, abwechslungsreicher und spielbarer als Mirages Roboterklopperei. Vor allem im Zwei-Spieler-Modus!
Darüber hinaus bot „Brutal – Paws Of Fury“ einige coole Features, die zumindest ich damals noch aus keinem vergleichbaren 2D-Prügelpiel vorher kannte. Wie beispielsweise Ring-Outs, die Möglichkeit, seinem Kämpfer einen eigenen Namen zu vergeben und die erstaunlich genauen Bewertungen nach dem Kampf. Die wunderschön gezeichnete, freundliche und bunte Cartoon-Grafik, die lustigen Animationen, die echt stimmungsvolle Musik und die tollen Soundeffekte waren aber klar das Highlight! Man merkt dem Spiel an, dass tatsächlich Liebe drinsteckte. Zumindest in der Präsentation.
Liebe allein macht aber aus einem Spiel noch keinen Megahit. Dafür fehlt es hier eindeutig an Feinschliff am Gameplay. Und so repräsentiert „Brutal – Paws Of Fury“ ungewollt leider eher das im Spiel allgegenwärtige Yin-Yang: Wo es viel Licht gibt, da gibt es auch viel Schatten.
Wo(für) gab / gibt es das Spiel?
„Brutal – Paws Of Fury“ wurde 1994 zunächst für Segas Mega Drive und Mega-CD veröffentlicht, gefolgt von Amiga und CD32 in 1995. Die Mega-CD-Version kann durch zusätzliche, sehr schöne Videosequenzen zusätzlich punkten. Ende 1994 erschien auch eine Version für SNES, mit umgestalteten Arenen und etwas weniger cartoonigen Grafikstil. Diese wurde 1995 für zwei überarbeiteten Versionen für 32X und MS-DOS verwendet. Dort erschien das Spiel als „Brutal Unleashed: Above the Claw“, mit zwei zusätzlichen Kämpfern.
Obwohl Entwickler und Publisher GameTek inzwischen von Take-Two übernommen wurde, wanderte die Marke „Brutal“ wohl nicht mit. Mit deren Ablauf 2002 scheint auch ein Re-Release nicht absehbar zu sein.